Das 2. NFDI4Memory Community Forum fand am 18.09.2024 erstmals in Präsenz an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg im Vorfeld der Tagung "Digital History & Citizen Science" statt.
Über 140 Community-Mitglieder sind an diesem sonnigen Mittwoch nach Halle gekommen oder haben sich digital zu den hybriden Veranstaltungsformaten zugeschaltet. Das Forum bot den Teilnehmenden eine Fülle an Sessions an, neben den informativen Veranstaltungen gab es auch viel Raum zum persönlichen Austausch.
Im Nachfolgenden wird ein kurz Einblick in die Sessions und ihre Ergebnisse gewährt:
Session 1: „Datenethik. Erfahrungsberichte aus der Praxis“
Anhand der drei Beispiele des Deutschen Zeitungsportals, des Online-Portals „Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten“ (CCC-Portal) der Deutschen Digitalen Bibliothek (DDB) und des Umgangs mit sensiblen Daten am Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung (HAIT) wurden im Workshop "Datenethik. Erfahrungsberichte aus der Praxis" Möglichkeiten der praktischen Umsetzung datenethischer Aspekte diskutiert.
Hendrik Keller und Dr.Maren Hachmeister gewährten Einblicke in das Forschungsdatenmanagement (FDM) und den Umgang mit datenethischen Problemstellungen am HAIT. Im Mittelpunkt stand die Frage, wie und ob sensible personenbezogene Daten aus zeithistorischen Interviews in der Informationsinfrastruktur „Oral-History.Digital“ gezeigt werden können. Anschließend daran stellte Lisa Landes drei Formen der Kontextualisierung von Zeitungen aus der Zeit des Nationalsozialismus im Deutschen Zeitungsportal der DDB vor. Nutzer*innen müssen einen Disclaimer zur Kenntnis nehmen, der auf den Zweck der Bereitstellung für Wissenschaft, Forschung und Lehre, zur staatsbürgerlichen Bildung sowie zur transparenten Aufarbeitung der NS-Diktatur verweist. Dieser umfasst eine Distanzierung von rassistischen, antisemitischen und anderen diskriminierenden Inhalten. Er verweist darüber hinaus auf die begleitende virtuelle Ausstellung „Presse in der Zeit des Nationalsozialismus“, die als zweite Form der Kontextualisierung dient. Schließlich stellt das Portal den NS-Zeitungen drittens Ausgaben der Exilpresse gegenüber. Im CCC-Portal, das Lisa Quade vorstellte, werden nicht nur Disclaimer eingesetzt. Anstelle von Objektbildern werden Platzhalter verwendet, z.B. wenn Sammlungsobjekte eine besondere kulturelle Bedeutung haben. Vokabulare machen kulturelle Zuschreibungen deutlich und die Historizität, der in den Metadaten abgebildeten Dokumentation wird unterstrichen.
Nicht nur die Vorträge, sondern auch die anschließenden Diskussionen im Plenum vor Ort und virtuell in der Videokonferenz unterstrichen, dass datenethische Aspekte in den historisch arbeitenden Wissenschaften zunehmend an Relevanz gewinnen und in hohem Maße der Aushandlung zwischen Wissenschaftler:innen, aber vor allen mit Betroffenen oder Nachfahren von erlittenem Unrecht oder Zeitzeug*innen bedürfen.
Session 3: "Mehr als ein:e Autor:in – das geht doch nicht!?"
Ausgehend von der Feststellung eines fundamentalen epistemischen und konzeptionellen Wandels von einer Welt, in der Daten ein eng definierter Teil der Ergebnisse von Forschungsprozessen waren, hin zu einem neuen Status Quo, in dem alle Forschungsprozesse immer bereits durch Informations- und Kommunikationstechnologien computationell vermittelt sind, sprechen wir von datafizierten Gesellschaften und Forschungsprozessen. Der dadurch notwendige fundamentale Kulturwandel der Geschichtswissenschaften im Zeitalter der Berechenbarkeit (computationality) (Berry 2011) erfordert ein erneuertes Verständnis von Forschungsprozessen als grundsätzlich kollaborativ, ebenso wie gelebte Praxen des kollaborativen Forschungsalltages.
Daher haben wir als Vertreter der Task Area “Data Culture” beim diesjährigen Community Forum von 4Memory am 18. September in Halle einen Workshop mit dem Titel “Mehr als ein:e Autor:in – das geht doch nicht!?” veranstaltet. Gemeinsam mit knapp 15 Teilnehmer_innen verschiedener Karrierewege und Zugänge zu Geschichtswissenschaften haben wir gefragt: Wie kann Kollaboration gestaltet werden? Wie sehen Anerkennungsstrategien für alle Prozessbeteiligten und -anteile aus?
Ausgehend von den Erfahrungen der Teilnehmer_innen, haben wir einige der Rollen in kollaborativen Forschungsprozessen näher ausgeleuchtet und gemeinsam Personae erstellt, die nun im Nachgang an den Workshop auch gemeinschaftlichen und offen auf Zenodo publiziert werden. Personae sind dabei aus dem Bereich der Forschung zu User Experience (UX) entlehnt und können dabei helfen mit möglichst konkreten, aber fiktiven Personenbeschreibungen die Zielgruppen und ihre jeweiligen Bedürfnisse in unseren jeweiligen Forschungszusammenhängen besser zu verstehen und adressieren zu können (vgl. Horváth u. a. 2023, 2024).
In der Arbeit in vier Teilgruppen sind in unserem Workshop drei Personae entstanden: Alex, Masterstudentin und studentische Hilfskraft in einem Drittmittelprojekt; Selma, eine promovierte wissenschaftliche Mitarbeiterin in der mittelalterlichen Geschichte; und Ada, als WiMi angestellte Research Software Engineer. Die vierte Gruppe an Teilnehmer_innen aus dem Bereich der Bibliotheken, Archive und Rechenzentren kam zum Ergebnis, dass ihre Rolle vor allem institutionell als Dienstleistung zu verstehen sei und daher nicht als eine Persona im kollaborativen Forschungsprozess formuliert werden sollte.
Literatur: Horváth, Alíz, Cornelis van Lit, Cosima Wagner, und David Joseph Wrisley. 2023. „Six User Personas for the Multilingual DH Community“.
———. 2024. „Centring Multilingual Users: Thinking Through UX Personas in the DH Community“. Herausgegeben von Barbara Bordalejo, Roopika Risam, und Château-Dutier. Digital Studies / Le Champ Numérique 13 (Februar): 1–30. https://doi.org/10.16995/dscn.9608.
Session 4: „NFDInspector – Entwicklung eines Python Packages für die Qualitätsprüfung von Erschließungsdaten aus Museen und Archiven“
Im Workshop „NFDInspector – Entwicklung eines Python Packages für die Qualitätsprüfung von Erschließungsdaten aus Museen und Archiven“ wurden die bisher erreichten Projektergebnisse und vorrangig das gleichnamige Tool von Andreas Ketelaer und Dr. Stefan Przigoda vorgestellt und vor allem zur Diskussion gestellt. Die Entwicklung wird durch den 4Memory Incubator Funds gefördert. Eine Vorabversion wurde zum Workshop im Python Package Index (PyPI) als auch auf GitHub veröffentlicht.
Die Präsentation des NFDInspector konzentrierte sich auf zwei zentrale Aspekte. Zum einen wurde die Veröffentlichungsstrategie hervorgehoben. Der NFDInspector versteht sich als leichtgewichtiges Open-Source-Tool, das mit relativ geringem Aufwand weiterentwickelt und gepflegt werden kann. Damit verbindet sich die Idee, dass durch die 4Memory-Community nach Projektende weitere derartige Tools entwickelt werden, die zu einem Ökosystem interoperabler Python Packages zusammengeführt werden können. Dazu wird es notwendig sein, sich in der Community auf gemeinsame Publikationsstandards zu einigen, die u.a. Aspekte wie Softwarelizenzen, Unit-Tests und Leitlinien für die Dokumentation beinhalten.
Anschließend wurden die eigentlichen Funktionalitäten des NFDInspector vorgestellt. Die Steuerung erfolgt weitgehend über Konfigurationsdateien, die festlegen, welche formalen Qualitätskriterien in einem Datensatz untersucht werden sollen. Kompatibel sind dabei Daten in den Metadatenstandards LIDO und EAD. Um die Community mit Aufbau und Funktionen des Tools vertraut zu machen, wurden auch Entwürfe von Tutorials in Form von JupyterNotebooks vorgestellt.
Die Diskussion drehte sich vor allem um Fragen der überprüften Qualitätskriterien und der bedarfsgerechten Konfiguration des Tools. Dabei kristallisierte sich als ein Wunsch heraus, dass künftig Konfigurationsdateien für verschiedene Anwendungsszenarien (z.B. Minimaldatensatz-Empfehlungen für Museen und Sammlungen) zentral zur Verfügung gestellt werden.
Session 5: "Haben wir Euch gut getroffen? Feedback zur Zielgruppenanalyse"
Lehr- und Lernmaterialien in den Geschichtswissenschaften müssen sich an den Bedarfen derer ausrichten, die sie im Alltag nutzen. Um mehr darüber zu erfahren, in welchen Kontexten Studierende, Data Stewards, Bibliothekar:innen, Archivar:innen, PostDocs und Professor:innen Open Educational Ressources (OER) zu Erwerb und Vermittlung von Data Literacy verwenden, widmete sich die Session „Haben wir Euch gut getroffen?“ genau diesen Zielgruppen.
Die Session startete mit einer Mentimeter-Abfrage: Die Workshopteilnehmer:innen waren aufgerufen, individuell eine Einschätzung zu treffen, wie Lehr- und Lernmaterialien gestaltet sein sollen: umfassend oder doch lieber begrenzt, akkreditiert oder selbstverlegt, originell oder konventionell, ... Aufbauend auf einer im Vorfeld durchgeführten Umfrage der Task Area Data Literacy und daraus abgeleiteter Personae dachten sich die Teilnehmer:innen im nächsten Schritt in die Lebens- und Arbeitswelten von Sascha (BA-Student:in), Alex (Professor:in), Andy (Bibliothekar:in) und Mischa (PostDoc) hinein.
Die Gruppen beantworteten sechs zentrale Fragen, u.a. was die Persona abhält, Data Literacy Lern- und Lehrmaterialien zu nutzen und wie sie auf OER-Angebote aufmerksam gemacht werden kann. In der anschließenden Gruppendiskussion ging es um die übergeordneten Themen, wie die Frage, ob Eigenmotivation oder institutionelle Anreize (wie ECTS-Punkte) entscheidender sind, wie der Austausch über OER-Angebote innerhalb der Statusgruppen verläuft (Offenheit vs. Fokus auf eigene Arbeit) oder welche Rolle die Lehre im universitären Kontext spielt. Da nicht alle Personae besprochen werden konnten, soll dem allgemeinen Interesse folgend ein Onlineworkshop das Thema weiter vertiefen.
Session 6: „Die Archive und die NFDI: Querschnittsthemen, Herausforderungen, Potenziale"
Durch die digitale Transformation rücken Forschung und Archive immer näher zusammen, etwa durch die Vernetzung von forschungsgenerierten Daten und archivischen Datenangeboten und insbesondere durch die Integration in NFDI4Memory.
Mit Impulsvorträgen aus dem Kreis der Participants wurde im Rahmen des hybrid durchgeführten Workshops „Die Archive und die NFDI“ Querschnittsthemen, Herausforderungen und Potenziale im Kontext dieser Entwicklung diskutiert. Aus der Perspektive der Universitäts- und Wissenschaftsarchive referierten Dr. Kristina Starkloff (Archiv der Max-Planck-Gesellschaft), Gesine Marek (KIT-Archiv) und Margrit Prussat (Universitätsarchiv Bamberg) über das Thema Forschungsdaten und stellten dar, dass –der großen Nähe zur Wissenschaft und Forschung zum Trotz – Zuständigkeiten und präzise Zuständigkeiten bis dato vielfach ungeklärt seien. Nils Reichert (Hessisches Landesarchiv) berichtete über die Herausforderungen bei interdisziplinären und institutionsübergreifenden Kooperationen beim Aufbau von Forschungsinfrastrukturen. Dr. Irmgard Christa Becker (Archivschule Marburg – Hochschule für Archivwissenschaft) referierte über die Auswirkungen der digitalen Transformation auf die Arbeit der Archive, nicht nur auf den Ebenen der Übernahme und Bereitstellung digitalisierter und zukünftiger digitaler Archivalien, sondern auch auf die Ausbildung von Referendar*innen und die sich verändernde Rolle der Archive in der Beziehung zu den Nutzer*innen.
Im Rahmen der Plenumsdiskussion, die sich nicht nur auf den Hörsaal vor Ort, sondern auch auf die Videokonferenz erstreckte, kamen Vertreter*innen aus Forschung und Archiven mit Datennutzenden und -anbietenden über die zukünftigen Anforderungen an beide Seiten ins Gespräch.
Session 7: "AG Digitale Geschichtswissenschaft und NFDI4Memory - Schwerpunkte, Schnittmengen, Synergiepotentiale"
Zwei Communities, ein gemeinsames Ziel: NFDI4Memory und die AG Digitale Geschichtswissenschaft im Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands (VHD) stärken digitales Arbeiten in der historischen Forschung. Im Einzelnen bestehen zwar unterschiedliche Schwerpunkte, Expertisen und Aktivitäten, doch darin liegen fruchtbare Ergänzungsmöglichkeiten. Diese von beiden Seiten getragene Überzeugung war Anlass, während des 2. NFDI4Memory Community-Forums zusammenzukommen, um über zukünftige Formen der Zusammenarbeit nachzudenken. Die AG veranstaltete dafür ein Interaktives Workshopformat. Zunächst stellte sie sich den anwesenden NFDI4Memory-Mitgliedern vor und präsentierte die Ergebnisse einer Umfrage unter ihren eigenen Mitgliedern. Auch wenn größere personelle Überschneidungen bestehen, wurde hierdurch großes Interesse erkennbar, mehr über die 4Memory-Aktivitäten zu erfahren und gemeinsame Austauschformate zu entwickeln. Diesen Ball aufgreifend identifizierten die anwesenden Workshopteilnehmenden drei (sich weitreichend überschneidende) Themenfelder als größte Schnittmengen:
- Mehr Information & Kommunikation zu Aktivitäten/Angeboten, und zwar zwischen AG und Konsortium sowie zu den anderen Konsortien und VHD-AGs;
- Gemeinsame Veranstaltungen, etwa zur Beratung digital arbeitender Historiker*innen oder für die Lehrgestaltung;
- gemeinsame Formate für die Kompetenzvermittlung, die neben der Lehre auch der Schulung in digitalen Forschungsmethoden dienen.
An drei entsprechenden Thementischen rotierten die Anwesenden wie bei einem World Café und tauschten konkrete Gestaltungsideen aus. Das große Interesse, die intensiven Gespräche und vielseitigen Vorschläge waren ein ausgezeichneter Startpunkt für den nun zu vertiefenden Dialog.
Wir freuen uns, auf dieser Grundlage die weitere Zusammenarbeit zu gestalten!
Session 8: „Sichtbarkeit und Nachweis von Forschungsdaten“
Der Hands-On-Workshop zum Thema Sichtbarkeit und Nachweis von Forschungsdaten befasste sich mit der Findbarkeit von relevanten Datensätzen. Die Findbarkeit ist in mehrfacher Hinsicht eine Hürde für die Nachnutzung und damit auch für die Herausbildung einer effizienten wissenschaftlichen Datenkultur. Einerseits tauschen sich Forschende aller Disziplinen aktiv über interessante Forschungsdatenbeständen aus und recherchieren in Textpublikationen zitierte Forschungsdatenbestände. Andererseits fehlen zuverlässige, benutzungsfreundliche und umfassende Suchmaschinen bisher. Dadurch ist eine offene, themen- oder problembasierte Suche schwierig und aufwendig. Dementsprechend muss die Sichtbarkeit von Forschungsdaten bereits bei der Produktion und der Publikation mitgedacht werden, beispielsweise durch die Wahl eines geeigneten Repositoriums als Veröffentlichungsort.
Diese und verwandte Themenbereiche wurden anschließend in Gruppen vertieft diskutiert. Dabei stellte sich schnell heraus, dass die Vielfalt von Datenobjekten in den historisch arbeitenden Disziplinen eine Herausforderung darstellt. Die Anwesenden nannten eine Formenvielfalt aus biografischen Datenbanken, Interviews im Bereich der Oral History, Retrodigitalisaten der GLAM-Einrichtungen, Ortsdaten und modellierte Aussagen zu historischen Entitäten in Knowledge Graphen. Für die Publikation werden häufig generische Repositorien verwendet und häufig ist unklar, ob und zu welchen Bedingungen institutionelle Repositorien angefragt werden können. Gleichzeitig besteht ein großes Interesse an erweiterten Funktionen wie offenen Schnittstellen für Daten und Metadaten, die Anbindung von GitHub-Repositorien oder bei der Metadatenerstellung. In Fragen der Recherche vertrauten die Anwesenden im Wesentlichen auf einschlägige Internet-Suchmaschinen und die Strategie, über relevante Forschungseinrichtungen – also den institutionellen Kontext – zu interessanten Datenbeständen zu gelangen. Darüber hinaus wurde in Ansehung einer zunehmend global denkenden Geschichtswissenschaft plädiert, Mechanismen für den Nachweis von Forschungsdaten in außereuropäischen Sprach- und Schriftfamilien zu finden.
Wir danken an dieser Stelle nochmals alle Teilnehmenden, Workshopleitenden und vor allem dem Team vor Ort in Halle, für die Gastfreunschaft und Unterstützung!
SAVE THE DATE: Nächstes Jahr wird das 3. NFDI4Memory Community Forum am Dienstag, 16.09.2024 Vormittags im Vorfeld des 55. Historikertags in Bonn stattfinden.